Dartagonia

Das Tagebuch eines NixTreffers

 

 

 

 
  Text copyright © by OPPA, The Elend on Tour  
 

Der Blick aus eisgrauen Augen streifte versonnen über die tief verschneite Landschaft außerhalb seines warmen Turmzimmers. Schirin Huhl Blech wandte sich abrupt vom Fenster weg und wusste, es war Zeit für seinen täglichen Gang auf die Zinne. Ihn fröstelte leicht bei dem Gedanken gleich in die kalte Nachtluft treten zu müssen um ein paar Verse diesen undankbaren Banausen kund zu tun. Er schlüpfte in seinen warmen Wintermantel und machte sich ächzend auf den Weg nach oben. Die Kälte sprang ihn an wie ein ausgehungertes Raubtier als er den Schutz des Aufganges verließ und sich zur Balustrade begab. Er musste verrückt sein sich dieses jeden Tag anzutun, aber wie hatte Basolamona bei seinem letzten heimlichen Besuch bei ihr zu ihm gesagt: „Ich glaube Du brauchst diese tägliche Dosis an Schmerz. Du bist süchtig danach.“ In Gedanken gab er ihr Recht und begann:

Ich stehe hier auf meinem Turm
Und fühle mich als wie ein Wurm.
 

Die Teetasse verfehlte ihn nur knapp und zerschellte hinter ihm an der Mauer des Turmes. Unbeirrt fuhr er fort: 

Die Kälte fährt mir ins Gebein
Drum lass ich es für heute sein.
 

Der Geschosshagel wurde dichter und die Einschläge näherten sich verdächtig schnell seinem Standort. „Die haben sicher schon auf der Lauer gelegen, diese Banausen“ dachte er bei sich, rief noch schnell: 

Euch Bande trifft hier bald ein Sturm. 

und flüchtete sich mit schnellen Schritten in die Sicherheit seines Refugiums. Mit einem „Heute bin ich noch mal davongekommen“ hängte er seinen Mantel an die Garderobe zurück, drehte sich um und….knallte mit dem Schädel vor den Pfeiler in der Mitte seines Raumes. Dunkelheit begann seine Sinne zu verschlingen und befriedigt sank er in die Sicherheit seines Sessels. „So das wäre für heute erledigt“ meinte er zu sich und beschloss jenes Buch zu lesen welches ihm sein Freund Melchsigel Nukahiwa von einer seiner Fahrten mitgebracht hatte. „Das hat ein weiser Seher geschrieben und zeigt einen Ausschnitt aus der Zukunft unserer Welt“ hatte er geheimnisvoll zu ihm gemeint. Er schenkte sich eine Tasse frisch aufgebrühten Sud von Ringeladejblättern aus der Kanne ein, die einer der dienstbaren Halblinge während seiner Abwesendheit auf dem Tischchen platziert hatte, lehnte sich in seinem Sessel zurück, schlug das Buch auf und begann die Zeilen zu verschlingen.

 
 
Aus dem geheimen Tagebuch eines Nixtreffers

 
 
  Es war wieder eine dieser sehr unruhigen Nächte. Ich wälzte mich in meinem Himmelbett mit dem Abbild meiner Dartkneipe hin und her. Ich konnte einfach keinen Schlaf finden. Was war bloß los? Ein Blick zu meinem Nachttisch aus bestem Keniasisal bestätigte mir die Anwesenheit meiner geliebten goldenen Phase 5. Ich hatte sie am Abend noch frisch poliert und neue Flys aufgesteckt. An ihrem Fehlen konnte es also nicht liegen.
Die Antidepressiva -Tabletten lagen auch für den nächsten Morgen bereit. Das Portrait Phil Taylors (unser aller Dartkönig und mein stetes Vorbild), das über meinem Kopf an der Wand hing, war auch - wie üblich - von dem 1000 Watt Strahler ins rechte Bild gerückt.
Alles so wie immer, oder?
Ich richtete mich auf, tastete mit den Füßen nach meinen Smilypuschen und rutschte beim Aufstehen fast über die Kolonie von Viagra - Pillen, die es sich auf dem Bambus-Parkett bequem gemacht hatte. Aber das sei wirklich nur am Rande erwähnt.
 
 

 

 

 
  Ich tapste also weiter durch das Schlafzimmer, bog am "Gladiator One80" rechts ab, stolperte über einige Büffel- und Löwenköpfe, die die indische Auslegeware ergänzten und befand mich dann auch schon in meiner Lieblingskneipe, dem "Calypso - Inn" auf Kuba.
Die Gauchos staunten nicht schlecht, als sie mich im Bunny - Kostüm und Smilypuschen sahen. Aber sehr schnell merkten sie, dass ich ihnen wohl gesonnen war und dankbar nahmen sie die Schokoladenzigaretten an, die ich ihnen selbstlos anbot.
 
 

 

 

 
 

Ich setzte mich an einen Tisch, an dem bereits ein Typ saß, der aussah wie eine Mischung aus Peter Sellers und Hildegard Knef.
Martha, die quirlige einbeinige Bedienung, deren Narben im Gesicht eine exakte topographische Darstellung des Emslandes zeigten, humpelte an den Tisch und fragte "Wie gewohnt, El Treffo Nixo?" Ich sagte kurz "Jau!" und schlappe zwei Stunden später brachte sie mir meinen Calypso - Shake. Dieser ist eine Mischung aus gequirlter Stutenmilch und Rotbäckchen, mit einem winzigen Schuss Brandy. Er wird warm gereicht und durch die Nase getrunken. Den Tipp hatte ich von MacLaus, dem Beherrscher aller Tränke.
Nachdem ich meinem Tischnachbarn mit einem Dart in die Wurfhand gestochen hatte (dies ist im Übrigen auf Kuba ein Zeichen für Freundschaft und kein Grund - wie so mancher Pauschaltourist nun annehmen könnte - für ein Match im Morgengrauen) gerieten wir ins Plaudern.
Wir kamen recht schnell zum geschäftlichen Teil. Denn wie sich heraus stellte, waren Peter und Hildegard Vertreter für Dartboards (eine Art Trefffläche für fehlgelenkte Darts aller Gewichtsklassen). Ich bestellte kurzerhand zweitausend Stück, denn der nächste Winter sollte lang und hart werden. Und nichts ist schlimmer, als eine kahle Wand ohne Sisalrund. Wenigstens eine Stelle, die von mir nicht geschändet werden kann.
Nach vierzig weiteren Calypso - Shakes und einer kurzen aber heftigen Prügelei mit einem Dartclub aus Groß Grottenburg verabschiedete ich mich von meinem neuen Freund, setzte mich auf mein Bobby-Car und plumpste wenig später in mein Himmelbett.
Vorher heftete ich noch meinen Gärtner mit einem  meiner 24-Gramm-Hammerheads am Türpfosten der Küche fest. .

Ich hasse es, wenn er Azaleen ins Bulleye pflanzt...

 

*****

Am Wochenende war ich auf einem dieser Ü30-Turniere. Es war eine Schnapsidee, geboren in munterer Männerrunde, beim Stande von 2,5 Promille auf dem nach oben hin offenen Alkoholpegel. Um den Veranstalter des Turniers zu schützen und zur Vermeidung eventueller Schadenersatzansprüche wird die Stadt, in der dieser Event stattgefunden hat, hier nicht genannt. Nur soviel: es ist eine verträumte Stadt rechts der Ems und reimt sich auf Doppelkorn.
Um an einem Ü30 Turnier teilnehmen zu können, muss man vorher an einer Qualifikation teilnehmen. Hier gilt es mit 3 Darts mindestens 30 Punkte zu werfen. Nur dann darf man mitmachen und man hat nur 3 Versuche. Eine für mich, dem König des Frühstücks, nahezu unüberwindliche Hürde. Aber gesagt ist gesagt.
Also schloss ich mich 2 Wochen in meiner Hütte ein, legte eine Standleitung zum nächsten Pizza-Taxi und begab mich in eine intensive Trainingsphase. Wie gut, dass ich gerade 2000 neue Boards gekauft hatte, die auch prompt geliefert worden waren. Peter und Hildegard sei Dank. .Wenn auch der Lieferant ein wenig am maulen und noch heftiger am schwitzen gewesen war, lies ich ihn doch alle Boards in mein Trainingscenter tragen. Das liegt im Keller und die Treppe ist sehr eng und steil. Aber nach einem Euro Trinkgeld kam der Kerl so richtig auf Touren. Oder lag es daran, dass er meinen Gärtner gesehen hatte??
Ich sollte ihn mal umgehend austauschen.
Ich also ein neues Board an die Wand genagelt und es konnte losgehen. Nach 3 Stunden war mein höchster Score eine 29 und ich am verzweifeln. Ich machte eine Pause, bestellte mir eine Scampi con Carne Arrabiata, mit Extra-Käse, und überlegte. So kam ich nicht weiter, ich brauchte den Rat eines Trainingsexperten und vor meinem inneren Auge tauchte sein Gesicht auf.

 
 

 

 

 
 

Früher, also zu meiner aktiven Dartzeit, hatte man sich stets über den alten Sack in der Kneipe aufgeregt, da er sich quasi zum Sterben dort hin begeben hatte und wohl nur gekommen war um unsere Mädels beim Werfen zu begaffen. Der Wirt musste dann immer alte Schlager aus den 70 Jahren auflegen. Er trank immer so Zeug mit komischen Namen, war wohl Gin oder Whiskey, so genau weiß ich das nicht mehr. Er nervte uns solange, bis wir ihn eines Tages zur Strafe auf einem Stuhl sitzend gefesselt hatten und dann musste er sich zwei Stunden lang Marianne Rosenbergs orales Transpirat via voll aufgedrehtem Kopfhörer durch die Gehörgänge gehen lassen. Kurz vor dem Atemstillstand haben wir dann aber netter Weise die Kopfhörer ausgestöpselt.
Ich beschloss ihn zu kontaktieren.

To Do Liste für morgen: Gärtner muss weg und neuen engagieren.
Ich mag immer noch keine Azaleen.

*****

Nun, als gestandener nix treffender Mensch will man auf Turnieren diese Fett – Krass – Profi - Spieler in ihren Schwabbelhemden einfach nicht dabei haben. Ihre unsinnigen und stampfenden 26er-Würfe- schon gar nicht. Also wurde der Begriff "Ü30" geboren. Diese scoremäßige Beschränkung exkludiert also diese dominante Generation von Schwabbelhemdenträgern. Aber, warum gibt es eigentlich keine Beschränkung nach oben hin?
Zurück zum Turniergeschehen. Korrekter Weise, ein paar Stunden vor dem Turnierstart.
Natürlich bedarf es auf solch einen Abend hin einer minutiös geplanten strategischen Vorbereitung, bevor man sich in dieses Getümmel stürzen kann. Die Kiddies müssen temporär entsorgt werden (wenn keine Großeltern greifbar, sperrt man sie einfach in den Keller), Hunde und Katzen müssen an Leitplanken festgebunden oder noch besser, bei der Schwiegermutter geparkt werden.
Dann die Frage nach der Bekleidung. Insbesondere mitspielende Frauen kollabieren stets vor ihrem Kleiderschrank. Sie haben ja nie etwas Passendes zum Anziehen und unter ihren zweihundert Paar Schuhen lassen sich einfach nicht die Richtigen für den Abend finden. Insbesondere die Scheidungsopfer unter ihnen, für die solche Turniere quasi die letzte Chance (neben ihrem Auftritt in diversen Internet-Singlebörsen) bietet, ihren Marktwert zu testen, leiden sehr unter solchen Stresssituationen. Denn das kleine Schwarze - im Sommer 82 noch der Eye-Catcher schlechthin auf den Emsland-Open- dürfte heute höchstens noch Mitleidsbekundungen auslösen. Der geneigte Leser wird spätestens an dieser Stelle daran erinnert, die Altkleidertüte für das Rote Kreuz in den Container zu werfen.
Männer haben es da etwas einfacher. Je nach strategischer Ausrichtung - werfen wie blöde und / oder saufen bis zum Umfallen - ziehen sie entweder ihren Vorortdartclubdress (Clubshirt, schwarze Bundfaltenhose) oder ihr Kampftrinkeroutfit (verwaschene Businesshose in ehemals schwarz, darüber ein kurzärmeliges Hawaiihemd) an. Hauptsache auffallen.
Jetzt endlich zurück zum Turnier.
Nach Bezahlung des Startgeldes - Begrüßungscocktail inklusive (obwohl der mich von der Mischung her sehr stark an den Punsch zum Bergfest in meiner Landschulheimzeit erinnerte) - durfte man seinen Fordham-Mantel an der Garderobe abgeben. So etwas gab es früher nicht, da wurden Jacken entweder hinter der Abwurflinie drapiert um sie später Bier besudelt wieder zu finden. Oder - wie es die Mädels machten - Frau band sie sich einfach um den Bauch.
Auffällig waren die vielen Mistgabeln und Gummistiefel, die an der Garderobe abgegeben wurden. Na ja, Turnier auf dem Lande...
Da es noch recht früh am Abend war, kam auch keine rechte Stimmung auf. Wie im Kloster waren Männlein und Weiblein zunächst separiert. Es war eine prickelnde Atmosphäre, man fühlte quasi die Pickel im Gesicht wieder sprießen.
Natürlich hat man einige Gesichter von damals wieder erkannt. Ist das nicht die Claudia..., die wo damals ne Nickelbrille und dieses dämliche Blumenkleid trug? Oder "Mensch, die Geburt ihrer drei Kinder sieht man der Petra um die Hüften herum aber an". "Die brauchte doch damals immer das ganze Oche für sich, nur weil sie elfengleich zu ‚I am the power’ tänzelnden Schrittes ihre Darts in die Wand jagte.“
Heute braucht sie jede Menge Platz um ihren tonnenartigen Körper vor die Scheibe zu hieven. Und plötzlich waren die Erinnerungen wieder da. Mein erstes Match gegen diese Gigantin des 22-er Aves. Unvergesslich. Vor allem, weil ich nie auch nur den Hauch einer Chance gegen sie hatte.
 
Habe gerade gelesen: Alle 100 Millionen Jahre stirbt alles auf der Erde, was schwerer ist als 25 Kilo. Wann starben noch mal die Saurier ??
Nächste Woche fange ich an mit Abnehmen.
Und was ist das ??????

 
 

 

 

 
 

*****

Letztens war ich mal wieder bei meinem Hausarzt. Ich habe da so Probleme mit meinem Wurfarm. Jedes Mal wenn ich zum Wurf aushole, haue in mir den Fly mitten ins Auge und bei einem Streckungsgrad von 79,482 ° blockiert das Ellenbogengelenk. Ergebnis: Der Dart landet einen halben Meter unter dem Board in der Wand und mir tränt das rechte Auge. Ich bin ratlos.
Nun gut. Also, ich war beim Arzt. Da ich nicht zu den Hartz IV-Empfängern gehöre, die sich die Arzttermine nach dem wohlverdienten Erholungsschlaf in der sozialen Hängematte aussuchen können, musste ich die Praxis morgens um 8 Uhr aufsuchen. Nach freundlichem Empfang durch die Sprechstundenhilfe (heißt dieser Job wirklich so und wenn ja, welche Hilfe braucht eine Sprechstunde denn?) und dem Entrichten des kassenüblichen Eintrittsgeldes, wurde ich ins Wartezimmer bugsiert. Dort lümmelte auf den wenigen Holzstühlen eine hüstelnde und krächzende Rentnerschar. Einige campierten bereits auf dem Boden. In dem Eintrittsgeld war leider nur der Anspruch auf einen Stehplatz zwischen Rollatoren, Beinprothesen und Krücken, die an der Wand angelehnt standen, enthalten.
Eine junge Mutter versuchte verzweifelt ihre vielköpfige Brut davon abzuhalten, sich die abgegriffenen und siffigen Legosteine aus der Spielecke gegenseitig in die Ohren zu stecken. Sie sprach in einem eher restringierten Sprachcode mit ihren Teppichratten "Malte, lass datt sein, eyh", "Lisa-Marie, du kriegst gleich Eine, komm her getz", "Kevin, hör auf mit die Scheiße, sonst knallt et!" Der jüngste dieser Bonsaiterroristen - Maximilian - kotzte dann auch noch dem älteren Herrn, der dieser Spielecke am nächsten saß, den Babybrei auf den Schoß.
Pensionäre und/oder Witwen haben grundsätzlich nur morgens Zeit für Arztbesuche. Es kann ja durchaus sein, dass ihnen der Arzt mitteilt, den heutigen Abend nicht mehr zu erleben. Da bleibt schließlich nicht mehr viel Zeit für die Zubereitung des Abendmahls oder für die notarielle Beglaubigung des letzten Willens. Eine Hafenrundfahrt lohnt sich dann wohl auch nicht mehr. Vielleicht wollen Rentner aber auch nur den neuesten Tratsch und Lokalkolorit als Erste erfahren.
Ich lehnte mich also locker an den abgeschabten Türrahmen und steckte mir genüßlich eine Zigarette an. Dies führte sogleich zu tumultartigen Szenen in dieser miefigen Hütte der dem Tode Geweihten. Eine ältere Dame fasste sich ans Herz und drohte zu kollabieren. Sie wurde aber vor ihrem Aufprall von ihrem Schal gerettet, der sich zum Glück um einen Haken des Garderobenständers gewickelt hatte. Endlich war Stimmung in der Bude, und es wurde nicht mehr über Krankheiten und Sterbefälle geredet, sondern über den unverschämten Kerl, der da trotzig an besagtem Türrahmen lehnte und paffte. Mich störte das nicht, ich holte mein Banjo heraus und versuchte mit emsländischen Volksweisen die Gemüter zu beruhigen. Diese kamen aber ebenso wenig an, wie der Duft des Jasminräucherstäbchens, welches sich noch in meiner Tasche befand und ich dann zwecks Schaffens einer netten spirituellen Atmosphäre entzündete. Es blieb sehr unruhig. Gegen 12 Uhr mittags verspürte ich ein aufziehendes Hungergefühl und ich holte aus meiner Tasche meinen Gaskocher und erwärmte einen Topf mit Tütensuppe. Eine Auswahl habe ich eigentlich immer dabei, man weiß ja nie, wie lange ein Arztbesuch so dauert.
Nach dem anregenden und sättigenden Mahl und einem abschließenden Rülpser wurde ich müde - Zeit für ein Mittagsschläfchen. Ich machte es mir auf dem Rollator der morgens fast kollabierten Dame gemütlich, nachdem ich zuvor die Decke einer dieser Teppichratten aus dem Sportkinderwagen stibitzt hatte.
Ach ja, die Audienz bei dem Arzt meines Vertrauens fand dann irgendwann am späten Nachmittag statt. Er hatte nicht viel Zeit, denn er musste ja noch zum Golfplatz. Wir plauderten ein wenig über das aktuelle Dartgeschehen und er las mir einige Rezepte aus der Ärzte-Fachzeitschrift Der Gourmet vor, an die ich mich im Hinblick auf meinen viel zu hohen Cholesterinspiegel halten sollte. Er empfahl mir, für ein bis zwei Wochen auf meine geliebten Kaviar-Kanapees zu verzichten. Nachdem wir über die körperlichen Vorzüge seiner neuen Arzthelferin Chantal diskutiert hatten, verabschiedete ich mich von meinem Medizinmann.
Auf dem Heimweg beschlich mich dann das Gefühl, dass ich irgendetwas vergessen hatte zu fragen.

Ich werde den Arzt wechseln. Im Wartezimmer standen Azaleen. Unglaublich...!!!

*****

Sie kennen mich bestimmt. Oder zumindest haben sie von mir gehört. Ich war der, von dem im Verkehrsfunk so oft berichtet wurde: "Achtung Radfahrer auf der A23, in Höhe der Anschlussstelle Elmshorn. Bitte fahren Sie rechts, winken Sie freundlich und schenken Sie ihm um Gottes Willen keine Azaleen".
Wieso war? Ja, weil ich jetzt in einer anderen Welt bin. Mich hat es aus dem Jetzt gefegt. Oder besser gesagt, er hat es getan. Dieser holländische Lkw hatte mittelalten Gouda frisch aus dem Land der Tulpen geladen und war auf dem Weg nach Itzehoe. Scheinbar war es dem Fahrer sehr langweilig. Er hatte auf dem Lenkrad die neueste Ausgabe des Sport `n` Play liegen und träumte von Las Vegas.

Zunächst aber ein kleiner Blick zurück.

Mich hatten meine Freunde ja gewarnt. Sie fanden es sehr gefährlich, auf der Standspur der Autobahn mit dem Rad zu fahren. Aber es war eine prima Abkürzung bis zu meiner Arbeitsstelle in Tornesch; und die Radwege in der Stadt sind doch ziemlich marode. Da hoppelt man doch über die Baumwurzeln bis es im Steiß kracht. Außerdem müssen bei diesem - wahrscheinlich von Nicht-Bikern - ausgeklügelten Radwegenetz Umwege gefahren werden, so dass man ja Reiseproviant mitnehmen muss um unterwegs nicht zu verhungern.
So kam mir dann schließlich die Idee, diese breiten Radwege neben den Fahrstreifen der Autobahn zu nehmen. Zumindest erklärte ich diese kurzerhand zu Radwegen. Punkt.
Es ging unheimlich schnell, ich erzielte gegenüber den innerstädtischen Radtrassen eine um 2 Stunden kürzere Fahrzeit.
An für sich war es immer eine schöne Fahrt. Die meisten Autofahrer winkten freundlich oder hupten, alles ok. Na ja, ab und an hatte ich eine Panne, weil ja ziemlich viel Glas auf so Standstreifen liegt. Ich habe aber auch nette Leute kennen gelernt. Wo ich konnte habe ich den Menschen geholfen - zum Beispiel beim Radwechsel, oder habe für die plärrenden Teppichratten im Font knuffige Teddys aus den Packtaschen gezaubert. Zumindest habe ich den Pannenopfern meine Luftpumpe angeboten. Was allerdings nicht immer den gewünschten Erfolg brachte.

Nun zurück zu meinem Verschwinden.

Also, der holländische Lkw-Fahrer machte es sich so richtig muckelig auf seiner Fahrt. Es lief ihm der Sabber aus den Mundwinkeln, als er das muntere Treiben in diesem Hochglanzblättchen sah. Er war versunken in seiner dartistischen Gedankenwelt und fühlte sich als der König der Doppel Eins, der es den unbedarften NixCheckern so richtig zeigte.
Ich fuhr gerade pfeifend auf meinem Radweg und befand mich auf dem selben Streckenkilometer, als der holländische EU-Nachbar die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. Der Anhänger geriet ins Schleudern, wankte nach links und dann nach rechts und haute mich schließlich aus dem Gel-Gefederten Sattel. Die ganze Fahrbahn wurde übersät mit Käselaibern, ich befand mich derweil im Luftraum über Ellerhoop. Ich ruderte mit den Armen - das hatte ich in amerikanischen Action-Filmen so gesehen - um eine halbwegs weiche Landung zu haben. Ich landete jedoch ziemlich hart auf der Oberfläche eines tiefen Baches, ging kurz mit dem Kopf unter Wasser, strampelte mich nach oben, schwamm gelassen zum Ufer und schaute mich um. Wo war ich denn nun gelandet?
Kurz darauf gesellten sich noch einige Laibe Käse zu mir, der ich mich krampfhaft an einer Luftwurzel festklammerte - ein perfektes Stilleben.

Ich wollte mich gerade mit einem heftigen Ruck an Land in Sicherheit bringen, die Strömung des Baches war doch besonders stark, als ein seltsames Männlein im Sonntagsausgehoutfit durch die Äste des Waldes brach und sich dem Bach näherte. Ich zog mich auf einen Felsen in der Nähe des Ufers, blieb erst mal erschöpft liegen und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
 
Epilog:

Itzehoer Tageblatt vom 29.11.2010

Rätselhafter Unfall.

Gestern kam es auf der A23 in Höhe Tornesch zu einem rätselhaften Unfall. Dabei wurde ein widerrechtlich auf dem Standstreifen fahrender Radler vom schleudernden Anhänger eines niederländischen Käsetransporters getroffen und aus dem Sattel gefegt. Vom vermeintlichen Unfallopfer fehlt jedoch jede Spur. Neben seinem verbeulten 50-er Jahre Fahrrad wurde lediglich eine Azalee gefunden.

Die Polizeibehörde bittet die Bevölkerung um sachdienliche Hinweise.

*****

Schirin legte vom Lesen erschöpft das Buch aus der Hand, leerte seine fünfte  Tasse Sud mit einem letzten Schluck und beschloss sich zur Ruhe zu begeben. Er erhob sich aus seinem Sessel, gab den Azaleen auf der Fensterbank noch etwas Wasser, bestaunte noch einmal die winterliche Landschaft durch das Fenster und bettete dann seinen müden Körper auf sein karges Bett. Er schlief sofort ein.

 
     
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