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 Quarret Nudel Seite 3

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2. Tagebuch Quarret Nudel
Am Tage Double Eins kurz vor Abpfiff

Hat dieser komische Weißkittel doch tatsächlich gemeint, er könne mich in meinem Mitteilungsrausch stoppen. Lächerlich.!! Eine Nudel lässt sich nicht mundtot machen. Habe einfach einen der gehirnreduzierten muskelgepackten Wärter bestochen. Habe ihm drei meiner tollen Stöckchen-Sets versprochen, wenn er mir einen Bleistift, oder besser gleich mehrere besorgt. Sagte ihm, ich müsse einen Brief an meine kranke Mutter schreiben und der Prof hätte mir alles Schreibzeug wegnehmen lassen. Und siehe da, der Kerl war gerührt und hat mir vier nagelneue Stifte geliefert. Papier hängt zum Glück rollenweise hier an der Wand.

Die Tage vergingen und die Drogen in meinem Blut klärten sich, wurden mit dem Harn und dem nötigen Schlaf rausgespült. Viel zu oft verbrachte ich die Tage damit, mit den anderen Insassen Fernsehen zu schauen, malte oder schrieb heimlich Tagebuch. Freute mich meines Lebens. Aber die Angst man könnte für den Rest meines Lebens über mich entscheiden wuchs von Tag zu Tag in mir und ich hatte sie schon fast verinnerlicht.
 
Nun wusste ich es. Es waren Dämonen, die meine Seele wollten. Da ich nicht an Gott glaubte und somit auch nicht an den Teufel, waren es frei lebende Dämonen. Meine Wahnidee vervielfältigte sich. Ich sah überall Stöckchen. Nachts umklammerte ich meine Bettdecke und betete zu allem was da sein könnte. Irgendwann setzten apathische Anfälle ein, wie ich nachher herausfand. Ich verkrampfte mich und schaukelte vor und zurück. Murmelte mir wichtige Worte vor und nickte oft unbesonnen. Manchmal schlug ich auf mich ein, besonders auf den Kopf. In der letzten Stufe sah ich Stöckchen mit meinem Namen verziert durch die Luft fliegen, obwohl an der Wand gar keine Scheibe hing.

Das schlimmste an dieser Krankheit ist es, nicht einschätzen zu können, was Realität und Fiktion ist. Nach einer Weile stellten sich nur noch wenige Symptome ein, denn ich begriff es waren keine bösen Geister, das war alles ich. Das komische Summen in meinem Kopf blieb, doch das war das geringste Problem. Mit der Einnahme eines Medikaments wurde ich geheilt.
 

Heute Morgen haben sie mir gesagt, ich würde bald entlassen werden. Aber nicht nach Hause. Sondern an einen Ort, an dem ich meine Vorlieben ausleben könne. Über nähere Details ließ man mich im Unklaren.

Manchmal im Traum wandere ich über eine grüne Wiese mit komischen weißen Linien verziert und von leeren Sitzreihen umgeben. Hin und wieder seufzt der Wind und ich drehe mich um, denn dann denke ich an die Stöckchen und höre einen Caller mit meiner Stimme rufen "Ich komme wieder..."

*****

Sett Einstich stand am Fenster seines Arbeitszimmers und beobachtete voller Verwunderung das bunte Treiben draußen auf dem Hof der Klinik.
Dort waren Melchsigel Nukahiwa und seine Helfer gerade dabei fünf Fuhrwerke, voll beladen mit Stöckchen aller Art und sonstigem Zubehör, sauber in einer Reihe aufzustellen. Ein Heer fleißiger Halblinge hatte in tagelanger Arbeit Quarret Nudels Hütte ausgeräumt, alles auf die Wagen geladen und hierher gebracht. Es war schließlich sein Eigentum und sollte ihn auf seiner finalen Reise begleiten. „Unglaublich..!“ murmelte Sett und schüttelte fassungslos seinen Kopf.
Ein leises Räuspern hinter ihm erinnerte ihn daran, dass Fräulein Irrstrom schon seit einigen Minuten vor seinem Schreibtisch saß und geduldig auf sein Diktat wartete. Mit einem letzten Blick auf das Chaos wandte er sich um, ging zu seinem Sessel, setzte sich hin und nach einem befreienden Husten begann er:

Abschlußbericht Patient 2212 Quarret Nudel

Fügen Sie hier bitte seine Personaldaten ein.

Der uns überstellte Patient zeigte eine auffällige Sammelwut glitzernde Stöckchen betreffend und einen ins Lächerliche gesteigerten Mitteilungszwang. Ersteres resultiert eindeutig aus dem bei einer Hirnergänzungsoperation verwendeten Hamsterhirn. Wie allerdings die den nervtötenden Redefluss verursachende Wespe in seinen präfrontalen Cortex gelangt ist bleibt uns weiterhin schleierhaft.

Anmerkung:
Die Klinik des Professors Timo Zahnweh Jackas sollte von der Gesundheitsbehörde auf die Einhaltung der Hygienevorschriften überprüft werden. Wie verdammt noch einmal gelangte sonst eine laut summende Wespe in einen sterilen Operationssaal. Und keiner hat’s bemerkt. Schlamperei sag ich nur.

Nach vorgeschriebener dreimonatiger Beobachtungszeit kommen wir zum Ergebnis, dass der Patient eine weitere Operation zur Beseitigung der nistenden Wespe nicht überleben würde. Zumal sich diese mittlerweile untrennbar mit dem Hamsterhirn und seinem Epithalamus verbunden hat. Dieses erklärt auch seine exzessive gelb-schwarz Orientierung. Woher seine plötzliche Vorliebe für nasses Schweineleder kommt, konnte auch nach intensiv durchgeführten Tests zum Teil unter Einsatz einer Elektroschocktherapie nicht festgestellt werden. Da es sich um einen in dieser Form erstmalig auftretenden Fall handelt, wäre hier eine mehrmonatige Testreihe erforderlich, auf die wir allerdings aufgrund des stark geschwächten Zustandes des Patienten verzichten. Sie würde an seinem Verhalten eh nix ändern.

Unter Zugrundelegung diverser Standardwerke kommen wir zur Erkenntnis, dass der Patient folgende Krankheitsbilder zeigt.

Stöckchenmessietum
Abgeleitet vom englischen Wort mess (= Unordnung) werden jene Menschen Messies genannt, die ihren Lebensbereich drastisch einschränken, indem sie z.B. ihre Wohnungen mit Dingen überfüllen und unter Umständen sich auch die Organisation des Alltagslebens oft extrem erschweren. Die Betroffenen können ihre Wohnung nicht als Ort der Regeneration und der Erholung von Verpflichtungen in der Außenwelt nutzen. Manche häufen Dinge an, die diese Wohnung überfüllen, sodass sie selbst kaum mehr Platz darin finden. Als Sammler und Sucher haben Sie eine Vorliebe für bestimmte Dinge, suchen diese auf Flohmärkten oder/und Tauschbörsen, bekommen sie von Freunden geschenkt oder besorgen sie sich aus anderen dubiosen Quellen, können sich von keinem dieser Stücke trennen und brauchen ständig Nachschub an neuen Exemplaren. Sie agieren als Sortierer und Anhäufer, wenn es um das Belegen der Wohnung geht. Die Sortierer bilden saubere Stapel von Dingen, verstauen in Kartons oder Plastiksäcken. Bisher haben wir festgestellt, dass dieses psychische Leiden kaum wissenschaftlich dokumentiert und erforscht ist. Es gibt populärwissenschaftliche Ratgeber, die durch Anleitung eine mögliche Verhaltensänderung versprechen oder Darstellungen von einzelnen Fallgeschichten. Da dieses Leiden auch nicht als psychische Störung erfasst wurde ergibt sich auch ein Mangel an psychotherapeutischer Kompetenzentwicklung.

Endogene Manie:
Als Gegenstück zur Depression ist die endogene Manie gekennzeichnet durch:
- gehobene, so genannte euphorische Grundstimmung
- Antriebsvermehrung
- Ideenflucht mit starkem Redezwang
- erhöhtes Selbstwertgefühl bis hin zum Größenwahn
- Verflachung des Gefühlslebens
- gesteigertes und körperliches Wohlempfinden

Der Patient wirkt in seiner euphorischen Stimmung sehr heiter, humorvoll, witzig und ist in seinem Einfallsreichtum sehr originell.
Ein im psychischen und körperlichen Bereich geäußerter Antriebsüberschuss zeigt sich bei dem Patienten durch eine hektische Betriebsamkeit. Der Betroffene hat große Pläne, rennt stark hin
und her und sein Redefluss ist nicht zu bremsen. Er kann auch sehr hemmungslos sein, wie z.B. verschwenderisch.
Der vermehrte Zustrom von Einfällen bedingt eine Ideenflucht. Es kommt zu einem unruhigen und oberflächlichen Denken mit Konzentrationsmängeln und starker Ablenkbarkeit. Aus den genannten Kennzeichen lässt sich ein erhöhtes Selbstwertgefühl kaum ausschließen, weil der Patient durch seine heitere Stimmung und das körperliche Wohlempfinden sein Selbstbild anhebt. Dieses typische, gesteigerte Wohlempfinden bereitet oft Schwierigkeiten bei einer stationären Einweisung in eine Klinik, da dem Betroffenen die Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht ersichtlich ist. In der Klinik drängt er oft darauf nach Hause zu wollen, da ihm angeblich nichts fehlt.
Die affektive Verflachung äußert sich in einer mangelhaften Gefühlsansprechbarkeit und der Unfähigkeit, tiefergehende Gefühlsregungen zu empfinden.

Alle diese vorliegenden Fakten führten bei uns zu dem Entschluss, dass im vorliegenden Fall nicht mit einer Besserung oder gar Heilung zu rechnen ist. Mit Schreiben vom Zweiten des Monats wurde deshalb dem Rat der Magier empfohlen den Patienten auf Dauer an einen Ort zu versetzen, der seinen Neigungen und Interessen in größerem Rahmen entspricht. Unser Vorschlag war, den Patienten an die Rehabilitationseinrichtung „Probst Lid“, gelegen auf den grünen Wiesen der Welt Socceranium des Talje Bephorst, zu überweisen. Dort kann er unter dem Namen ’First Kerben Mafia’ seinen Neigungen nachgehen und seinen Lebensunterhalt bestreiten, in dem er seine angesammelten Stöckchen auf dem freien Markt „Böser Autsch“ feilbietet. Unserem Vorschlag wurde per Eildekret vom Sechsten des Monats entsprochen und die Verlegung des Patienten wird umgehend durchgeführt.

Ran Moderduft, den Datum von Heute
Unterschrift uns so weiter.

Bitte alles in doppelter Ausfertigung und mit den entsprechenden Kopien aller Unterlagen versehen. Sein Tagebuch ist für das nächste Osterfeuer als Brennstoff aufzubewahren. Bitte auch sein geheimes Zweites nicht vergessen. Wenn fertig, mir bitte zur Unterschrift vorlegen. Ach ja, unterrichten Sie bitte noch die Pflegeabteilung von der bevorstehenden Verlegung. Sie sollen alles vorbereiten. Danke, das war es für den Moment.
 
*****
Drei Tage später.

Sett Einstich stand auf dem Hof der Klinik und fröstelte leicht in der kühlen Luft des Abends. Die Wagenkolonne mit Nudels Habseligkeiten stand abfahrbereit in Reih und Glied. Fehlte nur noch die Hauptperson. Die wurde gerade von vier stämmigen Pflegern aus dem Ostflügel zum geschlossenen Transporter geleitet. Trotz eines starken Sedativums wehrte er sich mit Allem was er hatte. Und immer wieder brüllte er laut „Einundachtzig“ in die Stille des Hofes. Doch dem eisernen Griff der Vier konnte er sich nicht widersetzen und sie bugsierten ihn mit ein wenig unnötiger Gewalt in den vergitterten Wagen. Laut schloss sich die Türe hinter ihm und die drei stählernen Riegel wurden hörbar eingerastet.
Sett Einstich gab das Zeichen zur Abfahrt und die Kolonne setzte sich in Bewegung. „Wieder ein Fall abgeschlossen“ sagte er zu sich selbst und beschloss den Tag mit einem reichhaltigen Essen zu beenden. Gedankenverloren bückte er sich nach einem schwarzen Stofffetzen, der auf dem Boden des Hofes im Kies lag. Mit goldenen Lettern waren die Worte „Quarret Nudel“ darauf gestickt. Er steckte ihn in seine rechte Jackentasche, murmelte „Souvenir“ und schritt von dannen gen Kantine.
 
 

Über den dunklen Wäldern näherte sich die Sonne dem Horizont und leise verwehten die letzten Schreie in der zunehmenden Dunkelheit:
„Einundachtzig.!!“
 
Ende
 
 
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